Wer viel Schönes im Leben erhalten hat, muss entsprechend viel dafür hingeben. Wer von eigenem Leid verschont ist, hat sich berufen zu fühlen, zu helfen, das Leid der anderen zu lindern. Alle müssen wir an der Last von Weh, die auf der Welt liegt, mittragen.

– Albert Schweitzer

Motivation zur Gründung der Brasilienvereine

Favela Monte Azul (1982)
Favela Monte Azul (1982)

Über fünfzig Jahre ist es inzwischen her, das mich Pater Leppich für die Not der Mitmenschen sensibilisiert hat. Auf seine Anregungen hin begann ich noch während meines Studiums alleinstehende ältere Menschen und Gestrandete im Zuchthaus zu betreuen. Auch während meiner Industrie-Tätigkeit bis zur Übernahme der Apotheke in Kruft setzte ich mich - inzwischen tatkräftig von meiner Frau Doris unterstützt - weiter für andere ein.
Als ich 1967 in den Schuldienst wechselte, bewegte mich der Werteverlust unter den Schülern und Lehrern. Die aufkommenden Unruhen auf den Straßen, verschärften die Situation zunehmend. Der Umgang mit Schülern und vielen Kollegen wurde schwieriger. Mir wurde bewusst, dass ich als Einzelkämpfer nicht allzu viel bewegen konnte. Ich beschloss, das Amt eines Schulleiters anzustreben, um mehr Einfluss ausüben zu können. Nach 10 Jahren hatte ich es geschafft: Ich übernahm die Leitung des Sebastian-Münster-Gymnasiums in Ingelheim, an dem über 1.400 Schüler unterrichtet wurden.
Nach und nach konnten wieder Abiturfeiern stattfinden und Schüler gewonnen werden, die sich für die Schulgemeinschaft einsetzten. Das Ziel war, junge Menschen für die Not anderer zu sensibilisieren.
Der Durchbruch aber kam erst in den achtziger Jahren. In einem Elendsviertel in São Paulo wurde vor einer aus Brettern errichteten Gesundheitsstation die Idee geboren, Geld in der Schule zu sammeln, um ein größeres Ambulatorium aus Steinen bauen zu können. Doch dauerte es noch drei Jahre bis sich Lehrer, Schüler und Eltern für ein Hilfeprojekt entschieden haben. Zu dem Zeitpunkt war das neue Gesundheitsgebäude allerdings schon eingeweiht. Nach der offiziellen Vereinsgründung beschlossen wir dann, ein Waisenhaus in São Paulo zu unterstützen. Es wurden erste Patenschaften übernommen und Geräte für einen Kinderspielplatz finanziert. Richtig glücklich waren wir jedoch nicht mit dem Projekt, da es überwiegend von einer württembergischen Firma finanziert wurde. Dann lernten wir 1986 Pfarrer Lothar Bauchrowitz aus Mainz kennen, der sich bereits seit vielen Jahren im Bundesstatt Mato Grosso in Zentralbrasilien um die Ärmsten kümmerte. Wir versprachen ihm fürs Erste, für die Baukosten einer Kindertagesstätte aufzukommen und danach seine Arbeit vor Ort zu besichtigen. Nach unserem Besuch begann eine positive Zusammenarbeit: weitere Kindergärten und deren Angestellte wurden vom Ingelheimer Brasilienverein finanziert.
1985 wurde mir auf meinen persönlichen Wunsch hin die Schulleitung am Gymnasium in Bendorf übertragen, so dass ich wieder mit meiner Frau zusammen wohnen konnte.
Mein Einflussbereich wurde dadurch größer, die Mitgliederzahl nahm zu, und so wurde alsbald in meiner neuen Schulgemeinschaft der Wunsch geäußert, einen zusätzlichen Verein im Koblenzer Raum zu gründen. Am 18.08.1989 fand die Gründungsversammlung vom Koblenzer Brasilienverein "KoBra" im Diehl´s Hotel in Koblenz statt. Aufgrund vieler Vorträge nahmen die Spenden von Jahr zu Jahr zu, so dass es uns möglich wurde, mehrere eigene Projekte (4 Kindertagesstätten, 4 Kindergärten, 1 Berufsausbildungs-Zentrum, über 200 Patenkinder, 2 Jugendzentren, über 350 kleine Steinhäuser, 2 Gebäude für die Erwachsenenbildung, 1 Kapelle, Mithilfe beim Aufbau eine Priesterseminars, Vergabe von Berufsausbildungs-Stipendien u.v.a.m.) in Rondonópolis in Mato Grosso zu unterhalten. Damit der Bestand des Werks auch über Jahre hinaus gesichert ist, errichteten meine Frau und ich 1997 eine KoBra-Stiftung. Nach meiner vorzeitigen Pensionierung 1990 konnten wir uns noch stärker engagieren und vor allen Dingen jährlich die Projekte vor Ort inspizieren und die Mitarbeiter motivieren. 2008 wurde schließlich auf Initiative von Elisângela Bezerra Vieira, einem unserer ersten Patenkinder und derzeitiger Leiterin der KoBra-Projekte vor Ort, ein eigenständiger KoBra-Verein in Rondonópolis von ehemaligen Patenkindern ins Leben gerufen. Inzwischen wurde der Verein sowohl von der Stadtverwaltung als auch vom Bundesstaat offiziell anerkannt. Damit können nun auch Anträge in Brasilien selbst gestellt werden, wovon die ersten bereits genehmigt wurde. Das Ziel, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, beginnt sich immer mehr zu verwirklichen.
Der bisherige Einsatz wurde bisher sowohl von deutscher als auch brasilianischer Seite her durch mehrere Ehrungen gewürdigt.
Es bleibt nur zu hoffen, dass die vor 25 Jahren ins Leben gerufene Entwicklungshilfe auch weiterhin noch lange Bestand haben wird.

Hans-Josef Mürtz